Wer Landschaftsfotografie hört, denkt zunächst an weitwinklige Optiken um auch recht viel von der Weite der Landschaft fotografieren zu können. Wer in die Toskana fährt darf nicht vergessen, seine längste Brennweite mitzunehmen, die er hat. Hä? Denkt der geneigte Leser, hat er jetzt alle Bites seiner Speicherkarte verloren, oder was ist denn da nun los?
Ja, Landschaftsfotografie mit langer Brennweite macht Sinn und insbesondere in der Toskana, wo die sanften Hügel dieser einzigartigen Landschaft besondere Blicke ermöglichen, wie man sie kaum woanders nochmal so antrifft. Da macht eine lange Brennweite durchaus Sinn, weil dieser weite Blick so viele Details offenbart, dass man sie alle in den Teleblick nehmen kann und muss.
Doch dazu später. Wer in der Toskana mit spektakulären Ergebnissen fotografieren will, muss früh aufstehen. Nur da spielt diese Landschaft – aber nur wenn sie will – seine ganzen Reize aus. Ich meine diese mystischen Ainsichten auf Agriturismos, Zypressenallen und unendliche Felder in Verbindung mit Nebelschwaden.
Also erst mal die den exakten Termin des Sonnenaufgangs ermitteln (hier helfen inzwischen kleine Apps, die man auf dem Smartphone anwenden kann und ganz spezifisch zum gewünschten Tag und Position die Sonnenaufgangszeit ansagen). Man sollte schon eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang am Fotospot sein, weil auch die Dämmerung wunderbare Effekte bereithält. Wenn man dann noch die Fahrt zum Fotospot einrechnet bemerkt man, dass der Wecker schon gewaltig früh einzustellen ist. Schließlich muss man ja auch noch den Chianti vom Vortag irgendwie verarbeiten. In meinem Beispiel war der Sonnenaufgang um 5.50 Uhr, also wollte ich gegen 5.20 Uhr in Pienza bereit zum Fotografieren stehen. Die Fahrt von San Quirico d’Orcia nach Pienza ist mit ca. 15 Minuten nicht sehr lange, aber dennoch musste ich also um 5.05 das Haus verlassen. Man kann sich nun ausrechnen, wann mein Wecker meinte, klingeln zu müssen.
Liebe Toskanafotografen, wenn Ihr schon die weite Reise hierhin antretet, verschwendet nicht Eure Zeit mit der Fotografie am Tag. Nutzt den Tag, um festzustellen, wo Ihr am nächsten frühen Morgen mit Stativ und Kamera bereit stehen werdet und widmet Euch den Rest des Tages der Bearbeitung Eurer Bilder vom Vortag, denn genug Material habt Ihr mit Sicherheit. Wenn dann noch Zeit bleibt – und darauf solltest Du dringend achten – darf das leibliche Wohl keinesfalls zu kurz kommen. Also ran an die Fiorentinas, Tagliatelle, Capreses und allem, was der Speiseplan noch zu bieten hat und nicht den Wein vergessen. Rot oder Weiß, egal, am besten beides und wünscht Euch einen Morgen, wie ich ihn erleben durfte.
Dann war es so weit. Schlaftrunken, aber rechtzeitig schaffte ich es aus dem Haus, aber schon nach der ersten Kurve hinter San Quirico d’Orcia musste ich stehen bleiben. Im Vordergrund die Mohnblumen und im Hintergrund die Nebelschwaden. Keine Möglichkeit daran vorbeifahren zu können. Also Stopp und Stativ aufgebaut. Bitte nicht den Fehler machen und einem erhöhten ISO-Wert den Zuschlag in Konkurrenz zum Stativ geben. Es lohnt sich, lieber etwas länger bei ISO 100 oder wenn die Kamera es hergibt auch noch niedriger zu belichten, als dann mit weniger rauschfreiem Material am Rechner zu sitzen. Insbesondere dann, wenn die Begeisterung so groß wird, dass man jedes Bild am liebsten als Poster ausgedruckt an die Wand hängen möchte.
Also das mit der halben Stunde vor Sonnenaufgang war leider den fotografischen Verlockungen auf dem Weg zum Spot zum Opfer gefallen. Wer hier sicher gehen will, muss also noch eine gute Viertelstunde draufpacken. Sollte man sich aber dennoch gut überlgen, das kann dann nämlich schon einschränkende Konsequenzen für den vorabendlichen Rotweinkonsum haben.
Am Spot in Pienza angekommen, bleibt zunächst der Mund offen stehen. Zumindest meine Vorstellungen von den vorgefundenen Ansichten wurden sogar übertroffen. Und jetzt kommt das Zomm 200-500 zum Einsatz. 500 mm an einer Nikon D850 und los geht’s. Alle folgenden Bilder wurden mit einer Brennweite von 280 mm aufwärts bis 500 mm fotografiert.
Aber auch die kürzeren Brennweiten machen durchaus Lust auf mehr. Dieser Morgen in der Toskana war vergleichbar mit der perfekten Welle beim Surfen. Ich hatte ihn.
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